Sportalpen.com

Martin McFly Winkler über „Soultrip Argentina“

Vor 10 Jahren flog Martin „McFly“ Winkler nach Patagonien. Als fanatischer Freerider begegnete er einem Land, das ihn nicht mehr loslassen sollte.
Gefesselt von einer für ihn fast unfassbaren Dimension an Freiheit kehrt er im Herbst 2010 zurück. Im Gepäck: eine Kamera, zwei Teamkollegen und drei Seelen, die abseits des „Höher, schneller, weiter“ erleben wollen, was Free Ski Mountaineering auch bedeuten kann: Geländeskifahren für die Seele.

„Soultrip Argentina“ – wieviel Kilogramm wiegt Freiheit?

Atemberaubende Aussicht

Der Philosoph in mir grinst müde. Wir stehen am Check-in. Drei Wochen Weite, Größe und Unabhängigkeit in greifbarer Nähe. Doch die Lady hinter dem Schalter erschwert uns die Abreise – und belastet das Gewissen. Mit jedem weiteren Kilo, das die erbarmungslose Waage unserem Sperrgepäck attestiert, rollt sie einmal mehr die Augen. ‚Brauchen wir wirklich so viel?’ fragen unsere Blicke stumm. Dann geben Björn und Max die Antwort auf ihre Art. Blonde Wuschelmähne hier, breites Grinsen da und ein „Wir drehen einen Film da drüben, wollen Sie mal vor die Kamera?“ machen der Dame im dunkelblauen Kostüm klar, dass Ihre hochdeutsche Bürokratie im Charme zweier Wahl-Innsbrucker schmilzt wie Aprilschnee in der Mittagssonne.

André und Bondi unsere Begleiter für „Soultrip Argentina“

Unterwegs in Bondi dem Bus

36 Stunden später. Temuco, Süd-Chile. Wir treffen André und Bondi. André ist ein alter Freund, der viele Monate im Jahr in Südamerika verbringt und sich hier so gut auskennt wie Max in der Innsbrucker Nordkette. Bondi ist sein Bus. Der ausrangierte 14-Tonner des Argentinischen Regionalverkehrs hat alles, was wir für unseren „Soultrip Argenina“ durch das chilenisch-argentinische Grenzgebiet brauchen. Platz für Schlafsäcke und Isomatten. Eine Nasszelle. Eine kleine Küche. Und unzählige Kilometer Erfahrung mit Schotterpisten, Sturmattacken und anderen Eigenheiten der patagonischen Infrastruktur.

Brauchen wir für „Soultrip Argentina“ Pulverschnee und steile Runs?

Freeriden in den argentinischen Anden

André entführt uns direkt in die chilenische Variante der berühmten Pampas. Braune Steppenlandschaft und karge Hügel. Freier Blick für neugierige Augen. Dahinter im Dunst die ersten Berge. Langsam, der Straße angemessen, brummelt uns Bondi Richtung Pucón. Wir erzählen André von unserer Idee, die den Trip und den Film besonders machen wird. Bilder einfangen, die den Bauch ansprechen. Erzählen von einem Land, in dem die Natur gewonnen hat. Ein Land, in dem Du im Schnitt zwei Menschen pro Quadratkilometer triffst. Manchmal. Wir haben seit zwei Stunden keinen einzigen mehr gesehen.

Unser Guide stammt aus der Freerider-Szene. Er weiß, dass die angesagten Ski und Snowboard-Filme in Kanada oder Alaska entstehen. Dort, wo der Schnee aufgrund seiner einzigartigen Konsistenz auch in Hängen jenseits der 50° hält. Dort, wo der Heli Dir innerhalb weniger Minuten die exponiertesten Gipfel serviert, die steilsten Runs, die tiefsten Drops. Und das so oft, wie es deine Oberschenkel und der Sponsoren-Geldbeutel aushalten.
Fragend schaut er herüber. „Ihr wollt hier im argentinischen Frühling Skifahren und einen Film darüber machen? Bei unberechenbarem Wetter, höllischem Wind und ziemlich sicher ohne Pulverschnee?“

Schweigen. Wir schauen zurück. Lange. Tief. Schließlich nickt er. Sein rechter Mundwinkel zieht nach hinten. Die Augen blitzen. Der Bauch versteht.
„Genau. Warum muss ein Skifilm immer auf immer steiler, immer höher, immer krasser abzielen? Adrenalin ist nicht der einzige Botenstoff, den der Bergwinter freisetzt…“

Mein Blick wird vom Villarrica angezogen, unserem ersten Ziel. Der 2.840 Meter hohe Vulkan liegt in einem wunderschönen Nationalpark, mitten im Grenzgebiet zwischen Argentinien und Chile. Wie eine fette Friedenspfeife pafft er genüsslich vor sich hin. Aktiv ist er bis heute.

Der Stoff für „Soultlrip Argentina“ ist: Geländeskifahren „by fair“

Geländeskifahren by fair

Geländeskifahren „by fair means“ – hinauf und hinab aus eigener Kraft. „Die Idee ist, eben mal etwas anderes zu erzählen, als das Übliche. Ich meine, wir alle lieben Sonne und Powderdays, steile, unendlich wirkende Runs und bequeme Aufstiegshilfen. Aber ist es das, was uns und unseren Sport wirklich weiterbringt? Free Ski Mountaineering heißt für uns: frei sein und fair sein. Fair mit dem Land und seiner Natur umgehen. Frei unsere eigenen Ansprüche und Ziele reflektieren. Sich öffnen für Widrigkeiten, für Scheißwetter. Erleben, was in Dir passiert, wenn Du nicht hoch kannst. Heute nicht, morgen nicht. Und wenn dann übermorgen vielleicht der Himmel aufreißt, musst Du aus eigener Kraft da hoch! Nur mit Fellen, Brettern und Stöcken bewaffnet.“

Martin McFly Winkler im Parque Nacional Lanín

Sieben Tage später verfluche ich meinen Idealismus. Der Villarrica hat uns sauber abgeworfen. Gefühlte 120km/h Gegenwind sind uns einfach zu viel. Doch wenn sich das Wetter nicht bewegt, musst Du es tun. Wir fliehen. André und Bondi bringen uns in den Parque Nacional Lanín. Sein Namensgeber, der Volcán Lanín erwartet uns mit rund 3.700 Metern Höhe, einem zweitägigen Aufstieg und freundlicheren Wettervorhersagen. Beim Aufstieg klettern ein paar Szenen vor meinem geistigen Auge nach oben, die ich in den letzen Tagen im Sucher meiner Kamera eingefangen habe. Ein wuseliges Flussbett, kristallklares Wasser. Schwemmholz, das sich scheinbar seit Jahrzehnten an dem großen Felsblock ausruht. Eine kleine Hütte am Ufer. Eine Feuerstelle. Dahinter: Weite. Stille. Frische Luft und rauer Friede. Kein Gedanke an Flusslaufbegradigung. Keine Anwohner, die sich bei der Behörde über unzureichende Hochwasservorsorge beschweren….

„Soultrip Argentina“ – vom Wintervulkan in die Steppensavanne

Der Aufenthalt in der Schutzhütte ist besser als erwartet. Warme Suppe und dicke Daunenschlafsäcke erweisen sich als gutes Nachtrezept. Und am nächsten Morgen sind alle Sorgen sprichwörtlich weggeblasen. Kalter blauer Himmel, 1.400 Aufstiegshöhenmeter und ein gefriergetrockneter Schneedeckel locken uns sehr früh aus der Gänsedaune. Doch die anschließende Abfahrt gehört zum Besten, das Björn, Max und ich je am Berg erleben durften. Trotz des hart gepressten Schnees. Eine schier endlose Linie, eine unglaubliche Aussicht und ein Ritt zwischen den Welten – vom Wintervulkan in die Steppensavanne.
Ride on.
Martin Winkler

Weitere Informationen über Martin McFly Winkler und Filmtermine. 

Fotonachweis: Salewa