Titus Faschina, Autor und Regisseur des Filmes „Dem Himmel so nah“ erzählt im Interview von der Geschichte des Filmes, dessen Produktion und Bedeutung.
Was erzählt der Film?
Ich glaube, es geht um den Verlust von Lebensräumen, Habitaten. Das zeigt sich beispielhaft am Schicksal der rumänischen Karpatenschäfer, dort verändern sich diese Lebensräume gerade rasant. Das „alte Europa“ verabschiedet sich.
Ist es ein Schicksal?
Hier bricht die Basis einer Kultur weg. Die karpatische Kultur ist aufgebaut auf dem Mythos von Hirte und Lamm. Wenn dieses Bild, als Realität in der Landschaft nicht mehr zu sehen ist, dann gerät die Kultur gleichsam in einen „Legitimations-Notstand“.
Wie kam der Film zustande?
Ich kenne Rumänien schon seit den Reisen meiner Jugend. Die Schäfer in den Karpaten sind mir zum ersten Mal Mitte der 1980er Jahre aufgefallen. Diese stolzen, sehr schweigsamen Männer, abseits der Dorfgemeinschaften. Dieses Solitäre hat mich immer sehr interessiert, und vor zehn Jahren etwa, hatte ich dann die Idee, das filmisch festzuhalten, irgendwie als Chronist, weil klar wurde, dass sich da etwas ganz gehörig verändert.
Ich bin dann unzählige Male die Karpaten abgefahren, habe mit Hirten gesprochen, und Protagonisten gesucht. So entstand ein Wissen um diese Hirtenkultur; und die Musik von Alexander Balanescu war auch immer dabei, sie adaptiert ja alte rumänische Themen.
Dann kam der lange Weg der europäischen Finanzierung, weil wir immer wussten: Diese Geschichte muss fürs Kino erzählt werden. Die Familie Stanciu und ihre Welt habe ich dann erst kurz vor dem Dreh gefunden. Diese Lebenswelten, die Welten von uns entfernt scheinen, dabei sind das doch nur 1.300 Kilometer von Berlin nach Siebenbürgen…
Diese Lebenswelten wurden durch den Eisernen Vorhang konserviert. Ganz ohne Zweifel haben sich durch die politische und wirtschaftliche Abschottung Relikte aus der Vor-Vorkriegszeit gehalten; dabei muss man auch die Abgeschiedenheit in den Bergen berücksichtigen, die Ethnologen nennen das „Reliktgebiete“. Ich wollte aber bei meinem Film nicht in Exotismus verfallen, denn Armut spielt natürlich auch eine wichtige Rolle und das muss natürlich immer klar bleiben. Die Menschen leben nicht „ursprünglich“, sondern in Entbehrung, auch wenn das aus unserer Perspektive leicht verschwindet.
2003 drehten wir dann für eine Fernseh-Dokumentation erstmals mit Schäfern in Nord-Siebenbürgen. Bernd Fischer war da bereits als Kameramann dabei, und uns faszinierte diese Welt der immer gleichen Handgriffe und Verrichtungen immer mehr, das hat so etwas ewig Gültiges. Der Rhythmus des Films orientiert sich am Jahreslauf. Das Leben der Hirten ist durch den Lauf des Jahres geprägt, der zugleich der Bogen vom Leben zum Tod ist.
Die Komplexität dieser immer gleichen Vorgänge zu zeigen, ist für mich die größte Form der dokumentarischen Wahrhaftigkeit. Es zeigt zugleich die reduzierte Geschwindigkeit des Lebens einer Familie in dieser harten aber auch mythischen Kulturlandschaft und andererseits deren „Reichtum“. Diese Reduktion, diese Klarheit, wollten wir auch durch das Schwarzweiß erzählen. Das bezieht auch das Wetter mit ein, das in dieser Gegend unerbittlich ist. Ebenso wie Tag und Nacht, Erde und Himmel, das sind harte Trennungen.
Eine ebenso große Bedeutung haben Geburt und Tod. Wir wollten von Anfang an auch das in unserem Film erzählen, weil das natürlich ein wichtiges Thema ist; Anfang und Ende. Der Tod oder das Schlachten eines Tieres war erwartbar, gewissermaßen einplanbar.
Schwieriger wurde es schon mit der Geburt. Das Lamm, dessen Geburt wir drehen konnten, kam bereits im Januar, also viel zu früh, auf die Welt. Der Schäfer weckte uns am frühen Morgen, als es soweit war. Als die Kamera dann stand, war die Geburt bereits geschehen; aber wie das oft so im Dokumentarfilm ist, dann kam diese berührende Szene, in der Dumitru diesem Lamm ins Leben hilft. Bei der Szene wurde dann nicht eingegriffen, es fiel kein Wort, wir waren für den Schäfer praktisch überhaupt nicht vorhanden, gar nicht mehr wichtig, er war vollkommen bei sich. Bei der Schlachtszene war es ähnlich, sie geschah einfach. Ganz plötzlich tauchte Dumitru am Horizont mit dem Schaf auf dem Rücken auf, blieb ein paar Minuten stehen, bis wir technisch soweit waren. Die Entscheidung war dann, dieses Töten in einer distanzierten, kontrastreichen Plansequenz zu erzählen, ich hätte das nie geschnitten.
Das meinte ich vorhin mit dokumentarischer Wahrhaftigkeit, das komplexe filmische Erzählen von Vorgängen.
Im Anwesen der Familie gibt es keinen Strom, wie ging das mit der Technik?
Wir hatten im Dorf Jina unsere Basis, es ist das höchst gelegene Dorf Rumäniens, ungefähr zwei Autostunden von Sibiu/Hermannstadt entfernt. In Jina übernachteten wir und bereiteten die Technik vor. Von dort aus ging es dann mit zwei Geländewagen auf Dumitrus Berg. In den Wagen hatten wir zusätzliche Batterien und ein Strom-Aggregat, damit konnten wir oben die Akkus aufladen, Licht brauchten wir so gut wie keines. Bernd Fischer ist jemand, der mit dem Licht, was da ist, zaubern kann. Unsere Produktions-Autos waren auch die ersten, die jemals auf dieser Alm waren, die Familie bewegt sich ja tatsächlich nur mit dem Pferdewagen oder zu Fuß.
Tageweise blieben wir auch oben bei der Familie, wir schliefen im Heu oder auch dort, wo Maria den Käse macht, so waren wir 24 Stunden am Tag mit den Stancius zusammen, und irgendwann „vergaßen“ die uns. So ist dann der Film entstanden und so erzählt er das, was geschehen ist. Da musste nichts „inszeniert“ werden, abgesehen davon, dass die Stancius sich bestimmt nicht hätte sagen lassen, was sie zu tun hat.
Wir haben die Geschichten, die wir dort gefunden haben, eingefangen und visuell natürlich verdichtet. Insgesamt hatten wir 36 Drehtage, allerdings nicht in vier, sondern nur in drei Blöcken, der Drehblock für den Sommer ging in den Herbstblock über. Radu, der Junge, hat mich von Anfang an beeindruckt mit seinem ganz besonderen Gang, den er einschlägt, wenn er weiß, dass er zwei, drei Stunden Fußmarsch ins Dorf vor sich hat und dann noch eine Busfahrt… Das heißt, um drei Uhr morgens aufzubrechen, um seinen Bus zur Berufsschule in Sibiu/Hermannstadt zu erreichen. Dass Radus unendliche Gänge ins Tal ein wichtiges Element des Films werden würden, wurde mir klar, als ich das erste Mal mit ihm während der Recherche gemeinsam lief; so viele unterschiedliche Arten zu gehen…
Wird Radu die Arbeit seines Vaters übernehmen?
Das ist nicht klar, er geht nach wie vor in die Berufsschule in Sibiu/Hermannstadt. Für ihn hat das Leben auf dem Berg viel mit Freiheit zu tun, das scheint für ihn sehr wichtig zu sein, das sagt er ja auch im Film. Die Frage ist eher, wie es mit der Hirtenkultur in den Karpaten weitergeht. Die traditionelle Käseherstellung ist den Schäfern nach den neuen EU-Verordnungen verboten, natürlich produzieren sie trotzdem und verkaufen ihn unter der Hand.
Wie sollen die ihre Milch auch täglich in die Täler transportieren?
Das ist doch Wahnsinn. An sich geht es der Familie ganz gut. 2010, in dem Frühjahr als wir bei der Familie drehten, sind ungefähr 20 Lämmer geboren, jedes lebende Lamm ist ein ökonomischer Faktor, ein Teil ihres Einkommens, sie können es behalten oder verkaufen. Die Stancius leben ja weitgehend als Selbstversorger, nur Käse und Lämmer können sie verkaufen. In der unmittelbaren Umgebung haben im Lauf der letzten Jahre vier Familien aufgegeben und sind ins Tal gezogen, die Häuser verfallen, das erzählt Dumitru ja im Film. Ein alter Mann wohnt und arbeitet noch weiter oben, alleine. Das wars.
Geht jetzt wirklich eine Tradition zu Ende?
Zweifellos, und ich denke, der Familie ist das klar, deswegen haben sie auch bei unserem Film mitgemacht, sie wollten zeigen, was sie machen, wie sie leben, welche Schwierigkeiten sie mit einem „modernen“ Leben hätten. Dumitru möchte natürlich die Tradition an seinen Sohn weitergeben, auf der anderen Seite weiß er, das hat so keine Zukunft. Das zerreißt ihn und hat viel mit diesem faszinierenden Stolz der Hirten zu tun und deren Unsicherheit in dieser EU-Moderne.
Er sagt ja im Film diesen unglaublichen Satz: „Es gibt keine Zukunft, keine Chance“. Und doch macht er weiter. Was soll er auch machen?
Das erzählt ja auch das Schlussbild, wenn alle Drei im Supermarkt, inmitten dieser ganzen „bunten“ Produkte, stehen; dieser Anachronismus war natürlich gestellt. Allerdings verschwindet die Tradition der Karpatenschäfer schon seit längerem. Bis in die 1940er Jahre gab es ja Schäfer, die mit ihren Herden über tausende von Kilometern von den Karpaten bis in den Kaukasus gewandert sind. Und noch bis zur Jahrtausendwende sah man überall die riesigen Schafsherden mit tausenden Tieren, die Hänge um Jina waren weiß vor Schafen. Das ist definitiv vorbei; der Wald kämpft sich langsam wieder durch die Hügellandschaft. Die Karpaten verändern sich.
Bergfilmfestival Salzburg: Termine für „Dem Himmel ganz nah“:
„Dem Himmel ganz nah“ ist das Programm 15 des diesjährigen Bergfilmfestival Salzburg. Der Film wird an folgenden Tagen gezeigt:
25.11.2011 um 18:30 Uhr
26.11.2011 um 16:00 Uhr
29.11.2011 um 16:00 Uhr
2.12.2011 um 21:00 Uhr
3.12.2011 um 13:30 Uhr
4.12.2011 um 11:15 Uhr
6.12.2011 um 21:00 Uhr
8.12.2011 um 18:30 Uhr
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Kartenvorverkauf und -reservierung ab Ende Oktober – nur telefonisch unter: +43662 / 87 31 00-15
Fotonachweis: Barnsteiner Film
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