Mag. Bernhard Niedermoser, Leiter der Salzburger Lawinenwarnzentrale, stand im Sportalpen.com Interview Rede und Antwort. Der Experte klärt über Lawinenarten, Schneedeckenstabilität und Verhaltensformen auf.
Informationsquelle Lagebericht
Der Lawinen-Lagebericht unterstützt täglich unzählige Wintersportler bei der Recherche. Freerider, Skitourengeher oder Schneeschuhwanderer verlassen sich auf diese Daten. Doch wie kommen die Berichte zustande? Wer ist daran beteiligt? Und wie genau sind die Prognosen? Mag. Bernhard Niedermoser vom Salzburger Lawinenwarndienst beschreibt im Detail, warum sein Job so wichtig ist.
Herr Niedermoser, die Standardfrage zuerst: Welche Arten von Lawinen gibt es?
Prinzipiell gibt es da mehrere Unterteilungen. Man kann von der Größe oder der Art der Konsistenz ausgehen – etwa ob sie trocken oder feucht sind. Man kann aber auch den Auslösemechanismus heranziehen. Wesentlich für den Wintertouristen ist aber auf jeden Fall einmal das trockene Schneebrett. Dann sind da die nassen Lawinen. Da geht die Bandbreite von Feuchtschneerutschen bis zur großen Nassschneelawine. Außerdem gibt’s noch Gleitschneelawinen, die vom Boden weggleiten und sehr imposant sind und die Staublawinen.
Welche Messinstrumente sind im Lawinenwarndienst im Einsatz?
Der Lawinenwarndienst greift auf ein sehr engmaschiges Beobachtungs- und Messnetzwerk zurück.
Im Land Salzburg sind etwa 40 automatische Stationen aktiv, in denen Meterologieparameter wie die Temperatur oder Windgeschwindigkeit permanent gemessen werden. Damit werden auch Daten wie Luftfeuchtigkeit, Neuschneemenge oder Lufttemperatur erhoben. Es gibt aber auch eine Reihe von Stationen, die einen Beobachter erfordern.
Da gibt es Früh- und Nachmittagsbeobachter. Von denen wird dann die Struktur der Schneeoberfläche kontrolliert.
Wie viele Menschen sind am Lagebericht beteiligt?
An einem unspektakulären Tag sind an der Erstellung eines Lageberichtes für das ganze Bundesland Salzburg in etwa 50 Leute beteiligt. Bei kritischen Situationen – sprich Gefahrenstufe drei oder vier – werden die Informationen von 200 bis 300 Menschen eingeholt. Logistisch läuft der Informationsfluss in der Lawinenwarnzentrale zusammen. Die offizielle Zusammenschau aller Lawinenwarndienste Österreichs findet man auf www.lawinen.at.
Was sagt die Schneedeckenstabilität aus?
Die Beobachter an den Stationen prüfen die Schneedeckenstabilität regelmäßig nach. Man erstellt ein sogenanntes Schichtprofil, anhand dessen Stabilitätstests gemacht werden. Die aktuelle Schneedecke spiegelt den gesamten Verlauf des bisherigen Winters wider. Im Lagebericht wird der Punkt Schneedeckenstabilität gebündelt und verständlich zusammengefasst. Im Punkt Schneedeckenaufbau wird beschrieben, wie sich die Schneedecke in einem größeren Gebiet zusammensetzt. Wenn es Schwachschichten gibt, die in bestimmten Höhen vorkommen, soll der Lagebericht darauf hinweisen.
Was machen die Leute falsch, die eine Lawine auslösen?
Es geht eigentlich nicht um richtig oder falsch. Es gibt einfach Dinge, die passieren. Leider gibt es keine Brillen, die einen in die Schneedecke schauen lassen. Ein gewisses Restrisiko ist irgendwo immer da. Man kann das ungefähr damit vergleichen, wenn man im Winter mit dem Auto in eine schattige Kurve hineinfährt. Obwohl es einen nicht schleudert, hätten fünf km/h mehr vielleicht einen Unfall zur Folge gehabt.
Kann es auch passieren, dass die Gefahrenstufe falsch ausgegeben wird?
Dass die Gefahrenstufe falsch ist, kommt vielleicht an ein oder zwei Tagen im Winter vor. Wenn man sich die Definition von den Gefahrenstufen anschaut, dann sieht man, dass jede Stufe eine gewisse Bandbreite hat. Es gibt also kein Idealbild für eine Stufe drei zum Beispiel.
Worauf sollte man immer achten, auch wenn die Warnstufe „gering“ gilt?
Bei den Gefahrenstufen eins oder zwei kann natürlich auch immer etwas passieren. Selbst Stufe eins heißt ja „gering“. Es heißt nicht, dass keine Gefahr da ist.
Von Stufe zu Stufe verdoppeln sich die Stellen im Gelände, an denen sich ein Schneebrett lösen kann. Das heißt also, dass auch bei Stufe eins zum Beispiel fünf Stellen existieren, die ein Schneebrett auslösen könnten. In der nächsten wären es ungefähr zehn.
Wie sollte man sich verhalten wenn man sich plötzlich in einem Hang wiederfindet, in dem es sher heikel ist?
Es kann natürlich sein, dass man schlechte Sicht hat oder ein Sturm aufkommt und man plötzlich in so einem Hang landet. Das Einzige was man da machen kann ist die Schneedecke zu schonen. Man sollte versuchen, so wenig Energie wie möglich auf die Schneedecke zu bringen und wenn man zu zweit unterwegs ist nicht zusammenzustehen. „Hüpfen“ während dem Hinunterfahren ist ebenso kontraproduktiv. Sanfte Bögen fahren und dabei nicht Stürzen ist hier das beste Mittel.
Der Trend zum Freeriden und Skitourengehen ist unaufhaltsam. Führte das Plus an Wintersportlern im Tiefschnee auch zu mehr Lawinenopfern?
Die Statistik sagt nein. Gerechnet auf die letzten 30 Jahre gibt es im Durschnitt im Land Salzburg drei Lawinentote pro Winter. Auf Österreich gesehen sind es – glaube ich – knapp unter 30. Trotz des Faktes, dass Skitourengehen als Breitensport explodiert, passiert deshalb nicht mehr. Natürlich gibt es von Jahr zu Jahr große Abweichungen, weil Einzelereignisse sich stark niederschlagen. Ein großes Lawinenunglück mit zehn Toten treibt die Statistik nach oben.
Natürlich gibt es auch viele, die nur knapp einem Unfall entronnen sind. Generell fällt auf, dass es im Winter einfach drei, vier wirklich kritische Tage gibt, wo viel passiert. Das hängt auch mit dem Wetter und dem Freizeitverhalten der Menschen zusammen. Ein Sonntag in den Semesterferien ist zum Beispiel so ein gefährlicher Tag.
Hängt die Lawinengefahr auch von der Jahreszeit ab?
Nicht wirklich. Jede Zeit hat ihre kritischen Phasen. Im Frühwinter hat der zweite Schnee Lawinenpotential. Im Hochwinter sind es oft Sturmlagen oder Neuschnee nach einer längeren Kälteperiode. Im Frühling sind es vor allem die Nassschneelawinen.
Was sagt die Hangrose genau aus und warum ist sie wichtig?
Die Hangrose weist im Lagebericht darauf hin, in welcher Richtung die meisten Gefahrenstellen anzutreffen sind. In Kombination mit der Hangrose sind oft auch die Höhenstufe, der Wind und die Sonneneinstrahlung entscheidend. In der entsprechenden Region sind dann mehrheitlich jene Hänge betroffen, welche in die angegebene Himmelsrichtung ausgerichtet sind. Das heißt natürlich nicht, dass man blind in den anderen Hängen umherwandern soll.
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