Um das Thema Natural Running aus wissenschaftlicher Sicht zu beleuchten hat sich Sportalpen mit Fitness-Coach Michael Mayrhofer getroffen. Der ehemalige Staatsmeister ist in Österreich einer der Pioniere in Sachen natürliche Laufbewegung.
Was lange währt wird endlich gut
Seit etwa 30 Jahren wird Michael Mayrhofer vom Thema Laufen begleitet. Vor 21 Jahren setzte er zusammen mit seinem Kollegen Roland Holzinger mit einer Jogging-Akademie erste Impulse für die noch junge Laufbewegung in Österreich. Schon damals war für den Sportwissenschaftler das Wort „Natural“ mit dem Wort „Running“ unweigerlich verbunden. Trotz seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse stand er damals allerdings oft vor verschlossenen Türen. Seit dem Aufkommen der Natural Running Bewegung vor einigen Jahren hat sich das geändert.
Hallo Michael. Gleich mal zum Einstieg: Was ist Natural Running generell?
Mit Natural Running meint man streng übersetzt ohne Dämpfungskeil und Sohlenaufbau zu laufen. Eben einfach so, wie man Barfuß läuft.
Wie hat sich Natural Running entwickelt?
Es gibt Menschen, die mit dem natürlichen Lauf aufgewachsen sind. Das sieht man zum Beispiel noch in Afrika. Da gibt es Athleten, die sogar auf der Bahn oder am Asphalt barfuß laufen können. Berühmtestes Beispiel dafür ist Abebe Bikila, der 1960 den Marathon bei den Olympischen Spielen barfuß gewann. Dann hat diese ganze Jogging-Bewegung in Amerika auf dem Asphalt begonnen und die Industrie hat Laufschuhe konstruiert, die eine starke Dämpfung haben und viel Support bieten. So hat sich der moderne Laufschuh entwickelt, der von der Sprengung her sehr erhöht ist. Demgegenüber steht das Alte, das jetzt wieder zum Neuen geworden ist: das Natural Running.
Werden beim Natural Running andere Muskeln beansprucht?
Ja, vor allem die Fußmuskulatur. Im Fuß gibt es 39 Muskeln. Das Quer- und das Längsgewölbe, die den Fuß mitunterstützen, werden ganz anders beansprucht. So gesehen ist Natural Running, ob mit Schuhen oder ohne, für die Fußmuskulatur sehr viel intensiver.
Wie viel Unterschied liegt dann noch zwischen dem Natural Running und dem echten Barfuß-Lauf?
Das ist insofern interessant, als dass der Fuß die meiste Stabilität durch den seitlichen Halt bekommt. Früher hat man immer geglaubt, dass man die Stabilisation durch den Sohlenaufbau von unten mit Keilen an der Innenseite und im Fußbett erreichen kann. Den größten Support kriegt der Fuß aber eben durch die seitliche Stütze. Und da ist dann noch einmal ein ganz großer Unterschied zum Barfußlauf. Auch wenn der Schuh flach ist, weil die meisten Natural Running Schuhe geben da noch – wenn auch wenig – Stützfunktion.
Wie hängt die Pronation mit Natural Running zusammen?
Pronation ist das natürliche nach-innen-Kippen des Fußes. Dadurch entsteht eine Dämpfung des Fußes. Die hat man in den letzten Jahren bewusst versucht mit speziellem Aufbau zu verhindern oder zu unterstützen. Das fällt halt bei den Natural Running Schuhen komplett weg. Da lässt man dem Fuß einfach seine Freiheit.
Stichwort Verletzungsrisiko: Findet man hier Unterschiede im Vergleich zum Fersenlauf?
Das ist wahrscheinlich der Knackpunkt. Natural Running ist für Laufungeübte und für Vielläufer, die wenig Barfußerfahrung haben, mitunter gefährlich. Sportler, die in der Woche 100 bis 150 Kilometer abspulen, und das immer mit einem gedämpften Schuh gemacht haben, sollten nicht einfach so auf einen Natural Running Schuh umsteigen. Da kann man davon ausgehen, dass das untere Sprunggelenk, der Bandapparat, die Achillessehne oder die Muskeln rebellieren.
Bei vielen ist der Gewöhnungseffekt über die Jahrzehnte so hoch, dass man vorsichtig damit umgehen muss.
Wie geht man den Umstieg am besten an?
Ich würde raten, zum normalen Lauftraining ein- bis zweimal in der Woche den Natural Running Schuh dazuzunehmen und sich langsam daran zu gewöhnen. Zu sagen: „Steig sofort komplett auf Natural Running um!“, würde ich nicht tun. Das wird sich nicht ausgehen, weil die Grundlage für die Genese – die Fußentwicklung – schon in der Jugend gelegt wird.
Wie sieht es für Leute mit Fußfehlstellungen aus?
Da ist immer die Frage: Was ist eine Fehlstellung? Das ist in den letzten Jahren auch sehr viel toleranter geworden. Bis vor kurzem wollte man das ja immer auf „Null“ korrigieren. Man weiß jetzt, dass die Natur da viel mehr Spielraum lässt. Wenn jetzt aber eine schwere Pronationsneigung da ist, da würde ich sogar nicht-korrigierte Einlagen in einen Natural Running Schuh einlegen, wobei das eigentlich nicht der Sinn ist. Der Sinn wäre natürlich, alles freizulassen. Sonst muss man den Läufer einfach im kompakten Stützschuh lassen. In Extremfällen ist es also nicht der richtige Schuh.
Worin liegt der Vorteil, wenn man Natural Running in sein Training integriert?
Es ist zunächst einmal eine Variation. Der zweite Vorteil ist, dass der Fußaufsatz ein anderer wird. Der klassische Fersenläufer ist meiner Ansicht nach Geschichte.
Wie sieht ein optimaler Natural Running Schuh aus?
Es gibt auch beim Natural Running Schuh ein von-bis. Da sind zum Beispiel die „Frees“, die überhaupt keinen Halt in irgendeine Richtung bieten. Bei denen ist die Sohle weich und flach und auch der Oberschuh ist komplett flexibel. Ich finde, dass man da aber auch gleich wirklich barfuß laufen kann. Schuhe, die ich positiv sehe, sind flache Modelle mit wenig Sohlenhöhe, die aber einen Oberbau haben einen gewissen Halt geben.
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